The Voyager 06.03.2025 | Page 26

Fotos : Anja Gessenhardt
Fotos : Jessica Benjatschek
Foto : Jessica Benjatschek Foto : Anke Schreiber-Fischer

träumen 26

Fotos : Anja Gessenhardt

FREIHEIT ,& Wind Mut

Die Journalistin Jessica Benjatschek , die für Magazine wie Stern , Zeit Online und Emotion schreibt , war vier Wochen lang mit 46 Frauen auf hoher See . Uns erzählt sie von den Herausforderungen der Atlantiküberquerung . Ein Interview über Freiheit , Natur – und die Kraft , die in jedem von uns steckt .

Interview : Anja Bethge

Wie kam es überhaupt zu dieser besonderen Reise ? Was hat dich daran gereizt , auf einem Traditions- segler den Atlantik zu überqueren ? Als freie Journalistin habe ich als Nicht- Seglerin einen dreitägigen Ostseetörn begleitet . Es war gleichermaßen schrecklich , weil die Segelerfahrung wie ein Brennglas auf meine Schwächen wirkte , wie empowernd . Ständig fragte ich mich , was es wohl mit mir machen würde , länger auf dem

ZUR PERSON

Jessica Benjatschek , geboren 1994 , aufgewachsen in einem kleinen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern , studierte Kulturanthropologie in Hamburg und arbeitet seit 2021 als freie Journalistin .

� @ wandergefuehle � jessica-benjatschek . de

Schiff zu sein . Als ich dann von der Atlantiküberquerung nur mit Frauen hörte , sagte ich sofort zu , obwohl die Vorstellung mich beängstigte . Die Neugierde war zum Glück stärker .

Du hast dich vor der Reise oft gefragt , ob du dich frei oder eingesperrt fühlen wirst . Wie war es dann tatsächlich für dich , vier Wochen lang nur das weite Meer zu sehen ? Die Atlantiküberquerung kam mir wie eine Reise in eine andere Welt vor . Mehr Abstand zum Alltag geht wirklich nicht . Es war heilsam , so lange von der Außenwelt abgeschnitten zu sein , weil Themen hochgekommen sind , die im Trubel des Alltags nicht genug Raum bekommen . Ich habe alte Glaubenssätze infrage gestellt und auf hoher See endlich meine Leichtigkeit wiedergefunden . Damit hätte ich nicht gerechnet . Auch nicht , dass ich überhaupt kein Bedürfnis nach Alleinsein hatte , obwohl wir kaum Privatsphäre hatten . Es stimmt wirklich : Bei so vielen Menschen , so lange auf engem Raum , kann niemand den wahren Charakter verstecken . Aber auch das fühlte sich befreiend an , weil die Dynamik unter uns Frauen so wertschätzend und offen war .

� Um die oberen Segel zu setzen , musste geklettert werden . Eine echte Mutprobe .

Fotos : Jessica Benjatschek

� Gesegelt wurde nur mit der Kraft des Windes , in 3167 Seemeilen von Teneriffa nach Martinique .

Wie sah euer Alltag an Bord aus ? Gab es eine feste Routine oder war jeder Tag anders ? Unser Alltag war komplett durchgetaktet . Dabei haben das Essen und der rotierende Wachrhythmus am meisten Struktur gegeben . Zu Beginn haben wir uns in drei Wachgruppen eingeteilt und waren dann jeden Tag zwei Mal für jeweils vier Stunden dafür verantwortlich , den Segelbetrieb am Laufen zu halten . Das bedeutet : am Ruder stehen und das Schiff steuern , nach anderen Schiffen , Wetterveränderungen und Treibgut Ausschau halten , die Segel optimal zum Wind ausrichten , aber auch putzen und Segeltheorie lernen . Trotzdem hat

„ Auf der Reise gab es immer wieder neue Überraschungen , Herausforderungen und unvergessliche Naturmomente .“ sich jeder Tag anders angefühlt , weil wir vom Wind abhängig sind , die Naturgewalt nicht kontrollieren können . Dafür gab es immer wieder neue Überraschungen , Herausforderungen und unvergessliche Naturmomente : Zum Beispiel unsere Wal- und Delfinbegegnungen , das erste Mal Leuchtplankton zu sehen oder fliegende Fische .

Was war der herausforderndste Moment während der Atlantiküberquerung – und was hat dir geholfen , ihn zu meistern ? Wir hatten einen kleinen Unfall , als eine besonders hohe Welle unser Schiff traf , eine Tür ins Schloss fiel und eine Hand dazwischen war . Obwohl diejenige viel Glück hatte und die Mittel der Bordapotheke ausreichten , realisierte ich in diesem Moment erst so richtig , welche Risiken diese Reise mit sich bringt und dass es Tage dauern könnte , bis uns externe Hilfe erreicht . Den Stress konnte ich wohl nicht so gut verarbeiten . Ich bin schlafgewandelt . Auf einem Schiff ! Das ist der größte Kontrollverlust überhaupt für mich . Doch als ich mich einer Mitseglerin anvertraute , tauchte plötzlich ein Zwergwal auf ! Da wusste ich : Ich würde nirgends lieber sein als hier , trotz der Risiken , die es im Leben doch immer und überall gibt .

� Anders als sie es von sich kannte , hatte Jessica am Ruder keinerlei Selbstzweifel .

� Mit vereinten Kräften hatten sie das Gefühl , dass sie alles schaffen können .

Foto : Jessica Benjatschek Foto : Anke Schreiber-Fischer

Kann jeder so eine Reise machen , oder braucht man spezielle Vorkenntnisse und eine gewisse mentale Stärke ? Vorkenntnisse sind nicht erforderlich , aber die Bereitschaft , sich einzubringen und lernen zu wollen . Mental kann man sich auf so eine lange Reise nicht wirklich vorbereiten , manchen Mitseglerinnen hat es aber geholfen , vorher an kürzeren Törns teilzunehmen . Ansonsten ist es aus meiner Sicht wichtig , ehrlich zu sich selbst und anderen zu sein . Unsere Kapitänin hat uns immer wieder daran erinnert , dass jede geradeheraus sagen sollte , wenn etwas ist . Sie sagte aber auch : „ Ihr seid nicht hier , um euch klein zu machen , sondern ihr seid hier , um zu wachsen !“

Nach 24 Tagen auf hoher See seid ihr in Martinique angekommen . Wie hat sich das angefühlt ? Es war sehr nass , denn bei unserer Ankunft erlebten wir unseren ersten und einzigen starken Regenschauer ( inklusive Regenbogen ). Das ist schon fast symbolisch , denn ich wäre am liebsten noch viel länger weitergesegelt , weil es mir mehr um das Unterwegssein als um das Reiseziel ging . Es war dann aber doch ganz schön – ein ergreifender Moment , in dem wir stolz aufeinander waren . Und es war faszinierend , plötzlich wieder von so viel mehr äußeren Sinnesreizen umgeben zu sein .

Welche Reise oder welches Abenteuer steht als Nächstes auf deiner Liste ?

Ich bin mit meinem

Mann und unserer Hündin in ein Haus im Wald gezogen und habe seitdem Nachtwanderungen für mich entdeckt . Begonnen hat es als gefühlte Notwendigkeit , um mich im Wald , meiner neuen Nachbarschaft , jederzeit wohl zu fühlen . Vom Abenteuerlevel her ähneln diese Ausflüge der Atlantiküberquerung , weil ich trotz vieler irrationaler Ängste in die Dunkelheit gehe und lerne , sie auszuhalten .

Buchtipp

Freiheit , Wind und Mut

256 Seiten

Klappenbroschur

18 Euro

MALIK Verlag

In ihrem persönlichen Erfahrungsbericht „ Freiheit , Wind und Mut “ erzählt Jessica Benjatschek von ihrer Atlantiküberquerung mit 46 Frauen auf dem Segler „ Brigg Roald Amundsen “. Dabei nimmt sie uns hautnah mit in das enge Zusammenleben an Bord , schildert eindrucksvoll die Kraft des Meeres und beschreibt , wie sie aus dieser außergewöhnlichen Reise innere Stärke und neuen Lebensmut schöpfen konnte . Ein inspirierendes Buch über Abenteuerlust , Zusammenhalt und das unbändige Gefühl von Freiheit auf hoher See .