Die zweitgrößte Stadt der Niederlande gilt dank einer Vielzahl innovativer Architekturprojekte als das „ Manhattan an der Maas “. Doch es wird nicht einfach nur gebaut , es wird grün gebaut !
Von Susanne Völler
I ch habe ein bisschen Muffensausen . 20 Jahre sind ja nicht nichts . So lange habe ich Martijn nicht mehr gesehen , der damals in der WG meines Freundes in Rotterdam lebte . Einem besetzten Haus am Mathenesserdijk nahe beim idyllischen Delfshaven mit seiner altholländischen Grachtenidylle , die nie so richtig zu Rotterdam zu passen schien . Verabredet sind wir an den Kubuswoningen . Ich laufe an der Zentralbibliothek vorbei , die mich mit ihren außen verlegten kanariengelben Versorgungsrohren an den Science-Fiction-Klassiker „ Blade Runner “ erinnert , und am
„ Potlood “. Das ist der Spitzname , den die Rotterdamer : innen dem sechseckigen Turm mit der fetten Spitze verpasst haben : Bleistift .
Schon habe ich die 38 quietschgelben
Die Zentralbibliothek erinnert an den Science- Fiction-Klassiker „ Blade Runner “.
Häuschen erreicht , die Kubuswoningen , die um 45 Grad gedreht sind und auf der Spitze stehen . Jedes auf einem sechseckigen Treppenhaus . Die Idee des Architekten Piet Blom : Die gekippten Würfel formen die Baumkronen , das Treppenhaus bildet den Stamm , das Ganze einen Wald . Suchend sehe ich mich um . Wo bleibt Martijn ? Da kommt er winkend auf mich zu , hat sich kaum verändert . Wir küssen uns dreimal auf die Wangen , wie es in den Niederlanden üblich ist , und ich fühle mich gleich wohler . „ Wollen wir in den Kijk-Kubus ?“, fragt er . Klar . Die Musterwohnung muss man gesehen haben . Auf drei Etagen gibt es nicht eine gerade Wand . Es ist eng , und ich bin jedes Mal wieder begeistert , wie durchdacht alles ist .
Foto : Max Mustermann / iStockphoto
� Die würfelförmige Wohnanlage Kubuswoningen zählt zweifellos zu den architektonischen Highlights Rotterdams .
Ach ja , was ich zu sagen vergaß : Wir sprechen hier nicht von einer Architektur des 21 . Jahrhunderts : Die Kubushäuser und das Potlood ( ebenfalls von Blom ) sind von 1984 . Blom war seiner Zeit wirklich voraus , heute hieße das Tiny Houses . „ Kennst du schon die Markthalle ?“, will Martijn wissen . Nein , aber ich habe natürlich davon gelesen . Was da vor mir liegt , erinnert an einen aufgeschnittenen Hightech-Käse . 120 m lang , 40 m breit , 40 m hoch , mit elf Geschossen . Das riesige Hufeisen verbindet Wohnen und Marktgeschehen miteinander , was weltweit einzigartig ist . Unten wird an gut 100 Ständen feines Streetfood verkauft , oben in Wohnungen und Penthouses wohl noch feiner gewohnt .
� Ein toller Blick auf das Manhattan an der Maas .
� Wohnen und Shoppen in der Markthalle – zwei Kategorien , die bislang nicht zusammengehörten .
Wir laufen weiter und kommen an Ossip Zadkines Statue „ Die zerstörte Stadt “ vor dem Maritiem Museum vorbei . Ein grotesk verrenkter Mensch reißt seine Hände in die Luft , im Brustkorb ein riesiges Loch . Die verstörende Skulptur , von den Bewohnern „ Stadt ohne Herz “ genannt , erinnert an die deutsche Bombardierung Rotterdams am 14 . Mai 1940 . Diese langen 13 Minuten brachten mehr als 800 Menschen den Tod . Wir schweigen beide und finden erst am Little C so richtig zu unserer guten Laune zurück . Die 15 Backsteingebäude am Coolhaven erinnern an New York , kein Wunder , bei den großen schwarzen Fensterrahmen und den markanten Stahlbalkonen und -treppen. Dieses „ Dorf in der Stadt “ besteht aus Lofts und Apartments , Büros und Ateliers , Parkhaus und Gastronomie . Und zahlreichen Grünflächen , gemeinsamen Dachgärten , mehreren Plätzen und dem neuen Coolhaven Park . Wohnen in der Stadt , grün gedacht . Geht doch ! Grün geht ’ s nach 1 km weiter : am spektakulären Depot des zurzeit geschlossenen Boijmans Van Beuningen Museums im Museumpark , dem weltweit ersten öffentlich zugänglichen Kunstarchiv . Wobei hier erst einmal gar nichts grün ist , sondern alles blitzt und blinkt .
� Ein charmanter Rückzugsort im Herzen von Rotterdam : Der Stadtteil Delfshaven mit seinen historischen Gebäuden und dem schönen alten Hafen .
Warum jetzt aber grün ? „ Das Depot hat dem Museumspark ein Stück von seiner Rasenfläche abgeknapst “, weiß mein kundiger Begleiter , „ und das wollten die Architekten ausgleichen . Schau mal hoch , dann siehst du oben den Dachgarten .“ Tatsächlich , Bäume ! Grün aber auch , weil das Depot durch und durch ökologisch konzipiert ist , mit ausgeklügeltem Klimasystem , Sonnenkollektoren , Regenwasserspeicher und vielem mehr . Martijn setzt noch einen drauf : „ Komm ! Ich zeig dir was , da wirst du erst staunen .“ Ich bin gespannt . Vorbei am Bahnhof – auch der ist neu und an dieser Seite mit einer beeindruckenden „ gefalteten “ Fassade versehen – schlendern wir zum Luchtsingel . Crowdfunding habe den Bau dieser knapp 400 m langen Brücke ermöglicht , erzählt Martijn . „ Damit ist sie die erste Crowdfunding-Infrastruktur der Welt !“
Wir schlendern in 8 Metern Höhe über den Luchtsingel und genießen die Ausblicke auf viel „ urban nature “, die so gestaltet ist , dass sie vor allem Nahrung und Schutz für Tiere bietet . Uns ist nach Pause , und so fahren wir mit dem Lift rauf zu Teds Rotterdam – Op het Dak , das zum Luchtsingel-Projekt gehört . Im Dachgarten wird auf 1.000 m ² urbane Landwirtschaft betrieben , damit ist der DakAkker die größte Rooftop-Farm Europas . Mit Gemüse , Kräutern , essbaren Blumen , Erdbeeren . Was hier geerntet wird , kommt bei Teds auf den Teller . Und plötzlich sitze ich an einem Tisch ( fast ) im Grünen , genieße den Ausblick und fühle mich bei Turkish Eggs mit Kräutern und Frühlingszwiebeln aus dem Dachgarten sauwohl in „ meiner “ Stadt .
WEGWEISER
Beste Jahreszeit : Im Winter kann es in Rotterdam ungemütlich werden , vor allem windig , und mehr zu sehen gibt es ab dem Frühjahr auch .
Anreise : Mehrere ICE-Verbindungen tgl . nach Utrecht , von dort weiter nach Rotterdam Centraal ; oder Flixbus bis Utrecht , dann weiter mit dem Zug
Übernachten : Pincoffs Boutique Hotel , ausgezeichnet für seine Nachhaltigkeit ( www . hotelpincoffs . nl / de )
Gut zu wissen : Den Preis für die Rotterdam Welcome Card , mit der man öffentliche Verkehrsmittel nutzen kann und diverse Vergünstigungen erhält , hat man schnell raus . Erhältlich ist sie für 1 bis 3 Tage .