The Voyager Extrablatt Malta & Gozo 04.12.2025 | Page 25

Foto: Lena Maximova / Adobe Stock akustisches Rätsel und ein typografisches Wunderland.
Foto: Micaela Parente / Unsplash

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Ein arabisches Echo in Europas Gassen

Die maltesische Sprache ist ein

Foto: Lena Maximova / Adobe Stock akustisches Rätsel und ein typografisches Wunderland.

Von Sven T. Möller

W er zum ersten Mal aus dem Flughafengebäude tritt, dem spielt das Gehör oft einen Streich. Man sieht Sandsteingebäude, riecht italienischen Espresso und englischen Tee, aber was man hört, passt in keine Schublade. Die Vokale sind breit und italienisch, die Satzmelodie hat den Singsang des Sizilianischen, doch das grammatikalische Gerüst – das Skelett der Sprache – ist rein semitisch.

Maltesisch( Il-Malti) ist das ultimative linguistische Souvenir. Es ist die einzige semitische Sprache der Welt, die in lateinischen Buchstaben geschrieben wird, und die einzige mit offiziellem Status in der EU. Für den Besucher ist sie wie eine archäologische Grabung am lebenden Objekt: In jedem Satz stecken 1.000 Jahre Geschichte.

WAS BEDEUTET „ SEMITISCH“?

Wenn Linguisten von „ semitisch“ sprechen, meinen sie eine Sprachfamilie, zu der neben dem Maltesischen auch Arabisch, Hebräisch und das alte Aramäisch gehören. Was diese Sprachen für Europäer so exotisch macht, ist ihr Wurzel- Prinzip.

Anders als im Deutschen basieren Wörter hier nicht auf festen Stämmen, sondern auf einem abstrakten Gerüst aus meist drei Konsonanten( Radikalen), die die Grundbedeutung tragen. Vokale sind nur das „ Füllmaterial“ für die Grammatik.

Ein klassisches Beispiel ist die Wurzel K-T-B, die das Feld „ Schreiben“ abdeckt: Kiteb( Er schrieb), Ktieb( Buch), Kittieb( Schriftsteller).

Egal welche Vokale man dazwischen schiebt: Das Skelett K-T-B bleibt sichtbar. Wer dieses Muster einmal erkannt hat, sieht plötzlich die mathematische Matrix hinter der Sprache.

Das Schriftbild: Semitische Seele, lateinisches Gewand Das Erste, was Reisenden auffällt – noch bevor sie ein Wort verstehen – ist das Schriftbild. Straßenschilder und Speisekarten wirken auf den ersten Blick vertraut, doch dann bleibt der Blick an seltsamen Zeichen hängen, die das vertraute Alphabet wie kleine Widerhaken durchbrechen.

Da Malta über Jahrhunderte von den Rittern des Johannesordens und später den Briten verwaltet wurde, wurde das Arabische hier nie mit arabischen Lettern geschrieben. Stattdessen presste man die kehligen Laute der Wüste in das Korsett des lateinischen Alphabets. Das Ergebnis ist eine Orthographie voller Punkte und Striche:

C mit Punkt:

Ċ

Ein weiches „ Tsch“( Ċaw = Tschüss).

G mit Punkt:

Ġ

Ein weiches, stimmhaftes „ Dsch“ wie in Dschungel oder Gin. Ein wichtiges Wort ist Ġelat( Eiscreme).

Z mit Punkt:

Ż

Ein summendes, weiches S wie in „ Rose“.

H mit Querstrich:

Ħ

Ein behauchtes, scharfes H, das tief aus dem Hals kommt – ein direktes Erbe des Arabischen.

Għ Għajn:

Der „ stumme Geist“ der Sprache. Oft hört man ihn gar nicht, er dehnt nur den Vokal davor.

Für deutsche Leser gibt es eine gute Nachricht: Das furchteinflößende Q, das man in Ortsnamen wie Luqa oder Mqabba sieht, ist gar nicht so exotisch. Es ist ein „ Glottisschlag“ – jener kurze Stopp, den wir im Deutschen machen, wenn wir „ be · achten“ sagen. Wenn Sie also Luqa nicht als „ Luka“, sondern als „ Lu · a“( mit einer winzigen Pause) aussprechen, klingen Sie fast wie ein Einheimischer.

Typographie der Straße: Die Kunst des Tberfil Die Sprache Maltas hört man nicht nur, man sieht sie auch. Malta besitzt eine einzigartige visuelle Identität, die droht, im Zeitalter digitaler Drucke verloren zu gehen. Achten Sie auf die alten Busse( in Museen oder auf Postkarten) und die traditionellen Last wagen. Die geschwungenen, oft schattierten Schriftzüge darauf nennen sich Tberfil. Diese handgemalte Beschriftungskunst ist eine Mischung aus barockem Schnörkel und psychedelischer Farbe. Tberfil-

Foto: Micaela Parente / Unsplash

Künstler(„ Tberfilisti“) wie Joseph Farrugia haben über Jahrzehnte das Straßenbild geprägt. Die Schriftzüge enthalten oft religiöse Sprüche oder Spitznamen( Il-Bambinu), umrahmt von feinen Linien( Pinstriping), die an sizilianische Karren erinnern.

Wer tiefer in diese faszinierende Welt eintauchen möchte, dem sei das Buch „ Tberfil: The Art of Maltese Vehicular Decoration in the 20th Century“ von Steven Scicluna empfohlen. Es ist das erste umfassende Werk, das die Geschichte dieser einzigartigen Schriftzüge dokumentiert – von den technischen Feinheiten des Pinstriping bis zu den Geschichten der Künstler, die die alten Busse in rollende Kunstwerke verwandelten.

Auch in den Gassen von Valletta oder Rabat lohnt sich der Blick nach oben. Viele alte Geschäfte tragen noch stolz ihre handvergoldeten Glas-Schilder – Reverse Glass Gilding – oder kunstvoll geschnitzte Holztafeln. Diese „ Vintage-Typographie“ erlebt gerade eine Renaissance durch Projekte wie Maltatype, die versuchen, diese visuellen Schätze zu dokumentieren, bevor sie durch Plastikschilder ersetzt werden.

Und dann sind da die Hausnamen. In Malta hat fast jedes Haus einen Namen, oft auf Keramikfliesen neben der Tür gebrannt. Diese Namen sind oft religiös( Ave Maria), familiär( Dar in-Nannu – Opas Haus) oder eine Kombination der Namen der Besitzer. Es ist eine „ Typographie der Zugehörigkeit“.