The Voyager 13.11.2025 | Page 23

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LANGSAM durchs wilde Leben

Lotta Lubkoll lebt den Traum vom einfachen Leben – und das mit langen Ohren an ihrer Seite. Seit Jahren ist sie mit Esel Jonny zu Fuß unterwegs, wanderte schon von München bis ans Mittelmeer und nun über die Berge des Westbalkans.

Interview: Anja Bethge, Fotos: Lotta Lubkoll

ZUR PERSON

Lotta Lubkoll, geboren 1993 in Coburg, ist ausgebildete Schauspielerin und Bestsellerautorin. Auf spannenden Vorträgen nimmt sie ihr Publikum mit auf ihre Reisen. Als Erlebnispädagogin leitet sie Ferienfreizeiten und unternimmt Wald- und Naturabenteuertage mit Kindern.

� @ eseljonny � www. eseljonny. de

Wie kommt man auf die Idee, mit einem Esel zu wandern oder zu reisen? Und was ist so besonders an Jonny? Seit meiner Kindheit träumte ich davon, einmal mit einem Esel zu reisen. Schon im Film „ Shrek“ tat mir der Esel leid – missverstanden, verspottet, obwohl er so viel Herz hatte. Ich war überzeugt, dass Esel klüger und sensibler sind, als man ihnen nachsagt. Als mein Vater starb, der selbst von einer großen Reise geträumt hatte, wurde mir klar: Es gibt kein später – es gibt nur jetzt. Ich wollte langsamer werden, bewusster leben, den Minimalismus und die Entschleunigung eines Esels lernen. Auf Ebay- Kleinanzeigen fand ich Jonny, und nach acht Monaten des Kennenlernens brachen wir 2018 auf. Inzwischen waren wir in elf Ländern unterwegs. Jonny ist neugierig, gelassen und aufmerksam. Mit seinem gemächlichen Tempo von drei Kilometern pro Stunde zeigt er mir, wie schön Langsamkeit ist. Er ist verschmust, kommunikativ, liebt Kinder und hört zu – kein Wunder bei den Ohren.

Auf ihrer Reise durch den Balkan trafen sie nicht nur auf atemberaubende Landschaften, sondern auch auf jede Menge neugierige Weggefährten – tierische Begegnungen inklusive.

Wie hat dich deine erste große Reise mit Jonny geprägt und was hat sie dir über dich selbst beigebracht? Diese erste Reise hat mein Leben verändert. Ich konnte nichts planen, musste lernen loszulassen und zu vertrauen – in Jonny, in die Natur, in das Leben selbst. Wir wussten nie, wo wir Wasser, Essen oder einen Schlafplatz finden würden, aber es hat immer geklappt. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, dass die Welt nicht so gefährlich ist, wie oft behauptet wird. Überall traf ich auf herzliche Menschen und echte Gemeinschaft. Unterwegs fand ich auch meinen neuen Weg: zur Arbeit im

„ Meine Reisen mit Jonny haben mir gezeigt, dass die Welt nicht so gefährlich ist, wie oft behauptet wird.“

Waldkindergarten, zur Erlebnispädagogik, zur Wildnisschule, zum Schreiben und zum live Vorträge halten. Früher wurde ich gefragt, was mir das Wandern mit einem Esel bringen soll. Heute kann ich sagen: Alles! Jonny hat mir sogar beigebracht, im Dunkeln keine Angst mehr zu haben. Früher Albtraum, heute Freiheit.

Als Erlebnispädagogin leitest du Ferienfreizeiten in der Nähe von München. Was fasziniert dich besonders daran, Kinder bei Wald- und Naturabenteuertagen zu begleiten? Ich war als Kind ständig draußen – im Wald, am Wasser, auf Feldern. In der Stadt habe ich später fast vergessen, wie gut mir die Natur tut. Erst als ich im Friedwald an dem Baum meines Papas Zeit verbrachte, spürte ich wieder, wie sehr mich der Wald erdet und ausgleicht. Über die Arbeit im Waldkindergarten lernte ich Bettina von machteuchschmutzig. de kennen und begann, selbst Naturworkshops zu leiten. Bald gründete ich die Wilde Waldbande – eine Ferienfreizeit für Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren. Eine Woche lang toben, bauen, entdecken, barfuß durch den Schlamm – ganz ohne Handy, Spielplatz oder feste Regeln. Viele Kinder kommen jedes Jahr wieder, und auch die Eltern lassen sich anstecken, wenn ich ihnen zeige, wie leicht Naturerlebnisse zu Hause möglich sind. Mich fasziniert, wie Kinder sich in dieser Woche verändern: Anfangs zögerlich, wollen sie keinen Ast anfassen – am Ende lachen sie, mit Erde an den Händen und leuchtenden Augen. Was sie in der Natur erleben und lieben lernen, das werden sie später auch schützen.

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Dein neues Buch „ Immer den Nüstern nach – Ein Wanderabenteuer mit Esel Jonny in Albanien, Bosnien und Montenegro“ ist am 31. Oktober erschienen. Kannst du uns einen

� Für ihre Abenteuer hat Lotta einen Van selbst ausgebaut – mit Küche, Schlafplatz und sogar einem kleinen Stall für Esel Jonny.

kleinen Einblick in die Abenteuer geben, die du erlebt hast? Diesmal hat es uns auf den Westbalkan verschlagen – eine Region, über die ich zuvor kaum etwas wusste. Mit meinem Mann Stefan, der zum ersten Mal mit Esel unterwegs war, sind wir im umgebauten Campervan Richtung Südosten aufgebrochen. Schon bald war klar: Der „ Peaks of the Balkans“-Trail ist nichts für uns – zu steil und felsig für Jonny. Also suchten wir eigene Wege durch die wilde Bergwelt des Prokletije-Gebirges. Wir erlebten eine Reise voller Überraschungen: frei umherstreunende Tiere, neugierige Grenzpolizisten, einen Waldbrand, Parasitenbefall und Bärenspuren – und mittendrin ein krankheitsgeplagter Stefan. Trotzdem war es magisch. Wir trafen herzliche Menschen, besuchten die einzige Eselfarm Albaniens und suchten für Straßenhund Monty ein tolles Zuhause in den Bergen. Diese Tour war wohl unsere abenteuerlichste bisher – rau, unberechenbar und wunderschön. Immer stand eines im Mittelpunkt: dass es unserer kleinen Herde – Jonny, Stefan und mir – gut geht.

Video: https:// youtu. be / CoAPKwAKp14

Gibt es ein Land oder eine Region, die dich besonders beeindruckt hat, und warum? Albanien hat mich besonders beeindruckt. Ein zuletzt durch den Diktator Enver Hoxha gezeichnetes Land, ein eingesperrtes Volk bis 1992, doch seltsamerweise kam genau dort für mich ein Gefühl der Freiheit auf. Hoch oben in den Bergen, wo kaum ein Mensch hinkommt und ich Kilometerweit blicken kann. Herzliche und einladende Einheimische, mit denen wir noch heute, drei Jahre nach unserer Reise in Kontakt sind und die bezaubernde Mischung der Natur aus Berglandschaften und wilden Stränden. Jedoch wird Albanien nach und nach touristischer, teurer und es gibt heute nur noch wenig nicht bebaute Küstenabschnitte. Ich frage mich, wie es sich wohl weiterentwickeln wird.

Welche Länder oder Abenteuer stehen noch auf deiner Bucket List? Das ist wirklich schwer zu sagen, denn die Welt ist ja überall spannend. Wir sind gerade dabei, unseren Lkw in ein rollendes Tiny House mit integriertem Eselstall für zwei Esel umzubauen. 2022 haben wir den Lkw-Führerschein bis 40 Tonnen gemacht. Der Campervan ist zu klein, um dauerhaft zu viert darin zu leben, was in der Zukunft unser großer Wunsch ist. Ja zu viert, Josefine, eine Eselin von der Noteselhilfe ist zu uns gezogen und wir haben nun unseren eigenen Stall mit Paddock und Gartenhäuschen direkt bei den Langohren. Wenn wir auf Achse leben wollen fernab des Eselhofs war klar, Jonny braucht eine Reisegefährtin und wir etwas mehr Platz. 16 Quadratmeter inklusive Schlafzimmer, Bad, Küche und Eselstall sind in Planung.

Buchtipp

Immer den Nüstern nach

288 Seiten

Klappenbroschur

18 Euro

MALIK Verlag

Nach ihren erfolgreichen Büchern „ Wandern, Glück und lange Ohren“ und „ Sonne, Meer und lange Ohren“ zieht Lotta Lubkoll erneut mit Esel Jonny los – diesmal auf den wilden Westbalkan. In „ Immer den Nüstern nach“ erkunden die beiden gemeinsam mit Lottas Partner Stefan Albaniens, Bosniens und Montenegros Berge und Hirtenpfade. Zwischen steilen Aufstiegen, tierischen Begegnungen und spontanen Abenteuern entdecken sie die Kraft der Langsamkeit, die Schönheit unberührter Natur und das Glück, als kleine Herde unterwegs zu sein.